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„Frauen brauchen mehr Mut!“

Das Buch „Die Gestalterinnen“ enthält fast 40 Interviews mit aktiven oder ehemals aktiven Stormarner Kommunalpolitikerinnen. Wie kann politischen Engagement als Frau gelingen? Diese Frage stellt das Buch und liefert zugleich zahlreiche spannende Antworten von echten Akteurinnen.

Die Stiftungen der Sparkasse Holstein, die das Projekt förderten, haben mit drei der insgesamt vier Herausgeberinnen gesprochen: Marion Gurlit (Gleichstellungsbeauftragte in Bad Oldesloe), Kathrin Geschke (ehemalige Gleichstellungsbeauftragte in Bargteheide) und Inge Diekmann (Gleichstellungsbeauftragte in Trittau).

Sie beschäftigen sich beruflich mit einem gesellschaftlich sehr relevanten Thema: Der Gleichstellung. Wie sind Sie zu diesem besonderen Berufsfeld gekommen?

 

Marion Gurlit Ich habe vor 30 Jahren an der Universität der Bundeswehr als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet. Da es an der Uni nur männliche Studenten und fast nur männliche Professoren gab, setzte ich mich für die Schaffung der Stelle einer  Gleichstellungsbeauftragten ein. Ich entschied mich dann, selbst Gleichstellungsbeauftrage zu werden.

 

Kathrin Geschke Ich komme ursprünglich aus dem sozialen Bereich und habe ich mich dort schon immer für die Chancengleichheit aller Menschen zur beruflichen und sozialen Teilhabe eingesetzt. Als in meinem damaligen Heimatort die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten ausgeschrieben wurde, habe ich mich einfach beworben, weil ich mir gesagt habe: hier wohne ich, hier lebe ich und hier möchte ich mich aktiv für die Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern einsetzen.

 

Inge Diekmann Im Studium bin ich mit dem Thema Gleichstellung in Berührung gekommen, anschließend arbeitete ich zunächst in der Erwachsenenbildung. Erst als Mutter ist das Thema für mich persönlich relevant geworden. Ich habe selbst erfahren, wie schlecht die Kinderbetreuungssituation vor 20 Jahren in meiner Gemeinde war. Mich berührt das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis heute, denn eine gute Kinderbetreuung ist für Frauen häufig der Schlüssel, um beruflich und auch politisch weiterzukommen.

 

Was hat sich seit Ihrem Start als Gleichstellungsbeauftragte denn verändert?

 

Inge Diekmann Das Amt Trittau besteht  aus 10 Gemeinden und es gab, damals als ich 2008 anfing, nur Bürgermeister. Es gab tatsächlich keine Bürgermeisterin. Im Kreis Stormarn haben wir, die 7 Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Stormarn, 2009 „KOPF“ gegründet – Das kommunalpolitische Frauennetzwerk. Ziel des Netzwerkes war und ist es, die Kompetenzen von aktiven Kommunalpolitikerinnen parteiübergreifend zu bündeln und zu stärken sowie politisch interessierten Frauen den Einstieg in die Politik zu erleichtern. Heute gibt es inzwischen vier Bürgermeisterinnen im Amt Trittau, also ein echter Erfolg.

 

Haben Sie das Buch geschrieben, um weitere Frauen zu motivieren, sich in die Kommunalpolitik zu wagen?

 

Marion Gurlit Genau, wir wollten mit dem Buch Vorbilder schaffen, damit sich mehr Frauen in die Kommunalpolitik trauen. Denn im Bundesdurchschnitt sind auch heute nur 25 Prozent der Sitze in politischen Gremien mit Frauen besetzt.

 

Was sind denn klassischerweise die Hürden, die verhindern, dass sich Frauen politisch engagieren?

 

Marion Gurlit Eine Hürde ist, dass viele Frauen denken, man müsse ganz viel wissen und kann sich nicht einfach so auf ein politisches Amt bewerben. Normalerweise benötigt man/frau in Deutschland für alles einen Befähigungsnachweis.  Wer Angeln will, braucht z.B. einen Angelschein. Für die Arbeit in der Politik ist kein Befähigungsnachweis nötig. Im Prinzip kann sich jede Bürgerin/ jeder Bürger politisch engagieren. Auch schrecken Frauen mit jungen Kindern häufig davor zurück, Abende und Wochenenden für ein politisches Amt zu investieren. Zudem gibt es Themen, die Frauen sich schlicht nicht zutrauen. Etwa alles, was mit Finanzen oder mit Bauwesen zu tun hat. Dabei haben viele männliche Politiker in den Bereichen auch keine Ahnung – und machen es einfach.

 

Warum sollten Frauen, die ohnehin im Schnitt mehr unbezahlte „Care-Arbeit“ leisten, sich überhaupt zusätzlich in meist ehrenamtlichen politischen Ämtern engagieren?

 

Kathrin Geschke Ein politisches Ehrenamt bedeutet, dass Frauen ihr eigenes Umfeld und das ihrer Kinder und Angehörigen aktiv mitgestalten und gesellschaftlich Einfluss nehmen können. Bei einigen interviewten Frauen gab es auch ganz konkrete Anlässe, um politisch aktiv zu werden. Sie waren von kommunalen Entscheidungen, wie beispielsweise Bauvorhaben vor der eigenen Haustür, ganz konkret betroffen und sind dabeigeblieben. Politisches Engagement bringt einen auch persönlich weiter, das berichteten viele der Frauen, mit denen wir gesprochen haben. Man lernt etwas Neues, kommt mit spannenden Themen in Kontakt. Das kann sehr bereichernd sein. Frauen machen nun einmal die Hälfte der Gesellschaft aus. Deshalb ist es so wichtig, dass alle Bevölkerungsgruppen in der Politik angemessen vertreten sind und alle Lebensrealitäten in politische Entscheidungen und damit in unseren Alltag einfließen.

 

Inge Diekmann Viele interviewte Frauen berichteten, wie konkret sie ihre Kommune mitgestalten konnten, sei es bei dem Bau eines Kindergartens oder Schule, die Organisation von Angeboten für Senioren und für die örtliche Jugend. Eine Politikerin erzählte, wenn sie durch den Ort geht, dann entdeckt sie Projekte, an denen sie mitgearbeitet hat und dies macht sie stolz. Eine andere sagte, dass sie sich als Frau mit Themen, die nicht unbedingt die Themen der Männer sind, durchsetzen muss. Frauen bringen neue Themen in die Politik und lernen dabei, sich durchzusetzen. Viele der Politikerinnen hatten das Gefühl, für ihre Gemeinde etwas bewegen zu können.  Das ist so schön an dem Buch: Es zeigt Frauen, die etwas bewirken konnten und macht so hoffentlich anderen Frauen Mut, es ihnen gleichzutun.

 

Der Buchtitel „Die Gestalterinnen“ ist in dem Kontext sehr passend.

 

Inge Diekmann Ja, der Buchtitel ist passend und wichtig finde ich die drei Worte - stark, ideenreich und kompetent -  im Untertitel. Er beschreibt die interviewten Frauen zutreffend.  Der Titel ist unter dem Eindruck der vielen spannenden Interviews entstanden.

 

Haben Sie im Zuge des Schreibens auch neue Erkenntnisse gesammelt?

 

Inge Diekmann Interessant war für mich, was Frauen motiviert hat, in die Politik einzusteigen und dabei zu bleiben. Eine Interviewte sagte dazu, dass die Aufgaben einen so berühren müssen, dass sie nicht als Belastung, sondern als Zugewinn empfunden werden. Das hat mich sehr beeindruckt. Im Buch werden die Politikerinnen ja zu verschiedenen Themen befragt, wie z.B. zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt oder zum optimalen Einstiegszeitpunkt. Eine Erkenntnis war, dass der Zeitpunkt des Einstiegs in Abhängigkeit mit dem Alter des Kindes zusammenhing. Viele stiegen erst ein, als ihre Kinder schon älter waren und sich selber versorgen konnten.

 

Kathrin Geschke Mir ist aufgefallen, dass die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, durch ihre Aufgaben selbstbewusst, offen für die unterschiedlichen Themen und interessiert an den Menschen geblieben sind. Viele haben Sätze gesagt wie: bleib neugierig, oder: bilde dir deine eigene Meinung.

 

Was haben männliche Politiker zu Ihrem Buch gesagt?

 

Marion Gurlit (lacht) Ein wichtiger Hinweis von den Männern in meinem Umfeld war, dass ich mehr Etat brauche, um das Projekt zu finanzieren. Das fand ich natürlich sehr schön. Das heißt: sie fanden das Projekt interessant. Ich habe sogar einmal einen Mann gefragt, was er von einem Buch über Männer in der Kommunalpolitik halten würde und zu der Frage, warum Männer politische Ämter so spannend finden. Interessanterweise sagte er, dass das wohl keine besonders vielfältigen Ergebnisse brächte, weil es vielen Männern neben den konkreten Themen auch darum ginge, eine gewisse Macht zu spüren. Das ist eine Antwort, die ich von Frauen so nicht erhalten habe.

 

Spannend.

 

Kathrin Geschke In Bargteheide haben viele Frauen die Interview-Anfragen selbst  mit in ihre Fraktion getragen. Da gab es natürlich erst einmal große Augen Erstaunen über das geplante Projekt – dann aber auch viel Wertschätzung und positives Feedback. Die Parteien haben sich sogar intern in ihre Archive begeben, um uns in unserer historischen Recherche zu unterstützen

 

Inge Diekmann Ich musste zunächst die Politik für das Projekt überzeugen, damit Geld zur Verfügung gestellt wurde. Hier habe ich starke Unterstützung von den aktiven Kommunalpolitikerinnen bekommen. Heute sind viele Mitwirkende stolz auf das Buch und die Rückmeldungen sowohl von Frauen wie auch von Männern sind sehr positiv.

 

Kathrin Geschke  Das Buch ist ja auch eine tolle Würdigung für die Arbeit von Großmüttern, Müttern, Schwestern und Freundinnen aus unseren Regionen. Ich hatte tatsächlich einige Anrufe von Familienangehörigen, die sich über die Buchidee gefreut haben. Einige waren sogar einige auf ihren Dachböden in den Sachen der Oma unterwegs, um bei einer zeitlichen Zuordnung des politischen Engagements zu helfen.

 

Was muss sich verändern, damit zukünftig mehr Frauen in die Kommunalpolitik gehen?

 

Marion Gurlit Ich würde mir wünschen, dass sich auch die männlichen Stadt- und Gemeindevertreter überlegen, wie man Sitzungen und Termine so gestalten kann, dass Frauen mit Kindern gut an ihnen teilnehmen können. Redebeiträge kürzer fassen und die Sitzungen nicht ewig zu überziehen – das hilft Frauen und natürlich auch Männern mit Care-Aufgaben.

 

Kathrin Geschke Frauen brauchen mehr Mut! Tatsächlich gibt es ja viele Ausschüsse, zu denen man einfach einmal hingehen und etwas darüber erfahren kann, mit welchen Themen sich die Politik gerade befasst. Da braucht man noch nicht einmal ein eigenes Thema. Einfach hingehen und zuhören. Ich finde auch, dass bekannter werden muss, dass auch Alleinerziehende oder beide Partner gleichzeitig sich engagieren können. Entstehende Betreuungskosten durch einen Babysitter können in Bargteheide geltend gemacht werden.  Es gibt auch Netzwerke wie KOPF und Fortbildungsmöglichkeiten. Man muss also nicht schon mit einem umfangreichen kommunalpolitischen Wissen antreten, um in die Politik gehen zu können.

 

Inge Diekmann Es wäre schön, wenn es ein Mentoren-Projekt für die Kommunalpolitik geben würde, wo jede Frau eine Mentorin an ihrer Seite hätte, an die sie sich jederzeit hinwenden könnte.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Hier geht es zu KOPF Stormarn.