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Romantische Eisenbahn-Abenteuer

Werkstattgespräch mit dem Stipendiat der Eutiner Landesbibliothek am 23.08.2023

Im bewährten Format des Werkstattgesprächs präsentiert der Stipendiat der Eutiner Landesbibliothek Niklas Weber am 23.8.23 um 19 Uhr seine Arbeitsergebnisse im Seminarraum der Landesbibliothek und stellt sich den Fragen der interessierten Öffentlichkeit.


„Im Tunnel. Romantische Eisenbahn-Abenteuer, Frauencoupés und sexuelle Gewalt im 19. Jahrhundert.“ – der Vortragstitel greift zentrale Themen der Dissertation auf, die Herr Weber im Rahmen des Stipendiums ausführlich mit Beständen der Eutiner Landesbibliothek weiterführen konnte.  Der Vortrag zeigt auf, wie kontrovers die Thematik nach wie vor ist: Als die Mitteldeutsche Regiobahn im Jahr 2016 sogenannte "Frauenabteile" einführte, hagelte es Kritik von allen Seiten, von Politikern, Feministinnen und Polizeibeamten. Frauenabteile seien "eine Station auf dem Weg zurück ins Mittelalter“, äußerte etwa ein Politiker der Linkspartei; in der Presse wurde die Geschlechtertrennung mit den repressiven Sexualregimes Saudi-Arabiens, Indiens oder Afghanistans assoziiert. Offenbar ist in Vergessenheit geraten, dass bis in die 1920er Jahre auch in den deutschen Eisenbahnen "Damen-" und "Frauencoupés" zur Verfügung standen. Die Geschlechtertrennung wurde damals immer wieder kontrovers diskutiert, von den einen als zivilisatorische oder "sittliche" Errungenschaft gepriesen, von anderen als Symbol der Unterdrückung verdammt, von dritten schließlich wegen der vermeintlichen Benachteiligung von Männern bekämpft.


Der Vortrag rekonstruiert die Geschichte des Frauenabteils im 19. Jahrhundert, ihre diskursiven Ambivalenzen und ihre kulturhistorischen Kontexte. Die Auseinandersetzungen waren einerseits geprägt von der romantischen und erotischen Faszination, die das Coupé auf die Zeitgenossen ausübte und die Gegenstand unzähliger Erzählungen, Artikel und Bilder war; andererseits von dem Wissen um reale Fälle sexueller Gewalt, die bereits im 19. Jahrhundert für gewaltiges Aufsehen sorgen konnten und heutige #MeToo-Debatten in gewisser Weise vorwegnahmen.

Die Fülle der vorhandenen Informationen führte dazu, dass Herr Weber sein 6-monatiges Stipendium um ein halbes Jahr verlängern konnte, nun aber im September einer neuen Stipendiatin Platz macht. Der Vortrag mit anschließender Diskussion ist die sechste Veranstaltung in diesem Format der Werkstattgespräche. Hiermit stellt die Eutiner Landesbibliothek seit Sommer 2020 die aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten vor, die an Dissertations- und Forschungsprojekten arbeiten um dabei jeweils mindestens sechs Monate konzentriert die historischen Bestände der Bibliothek zu nutzen.

Finanziert werden diese Stipendien zum größten Teil von der Sparkassen-Stiftung Eutiner Landesbibliothek, die den Stipendiat:innen kostenlos eine Wohnung im Vogthaus, dem „Haus der Stiftungen“ der Sparkasse Holstein, zur Verfügung stellt.